Notwehrprovokation – und die gebotene Verteidigung

Eine Verteidigung ist nicht im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB geboten, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine eingeschränkte und risikoreichere Verteidigung zu fordern ist1. Der Angegriffene muss sich daher insbesondere bei der Wahl eines lebensgefährlichen Verteidigungsmittels besondere Zurückhaltung auferlegen, wenn er die Auseinandersetzung schuldhaft provoziert hat2.

Notwehrprovokation – und die gebotene Verteidigung

Wer durch ein rechtswidriges, pflichtwidriges oder sozialethisch eindeutig zu missbilligendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen3.

Der Angegriffene ist in Fällen der Notwehrprovokation daher verpflichtet, dem Angriff gegebenenfalls auszuweichen oder das Risiko hinzunehmen, das mit der Wahl eines weniger gefährlichen Abwehrmittels verbunden ist4.

Allerdings ist das Notwehrrecht auch in Fällen eines rechtswidrigen oder sozialethisch zu missbilligenden Vorverhaltens nur eingeschränkt; ein vollständiger Ausschluss oder eine zeitlich unbegrenzte Ausdehnung der Beschränkungen des Notwehrrechts ist damit nicht verbunden5.

Eine Einschränkung des Notwehr- bzw. Nothilferechts kann auch nicht mit der Überlegung erwogen werden, der Angegriffene habe angesichts des von diesem bereits früher (hier: am Vorabend) gezeigten aggressiven Verhaltens mit einem Angriff rechnen müssen. Die bloße Neigung des Angreifers zu aggressivem Verhalten sowie die Kenntnis des Angegriffenen hiervon vermag eine Einschränkung des Notwehrrechts nicht zu begründen. Anhaltspunkte dafür, dass der Nebenkläger aufgrund akuter Alkoholisierung oder aus sonstigen Gründen für sein Verhalten nicht voll verantwortlich gewesen sein könnte, sind weder festgestellt noch liegen sie nahe6.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – 2 StR 252/17

  1. BGH, Urteil vom 01.06.2016 – 1 StR 597/15, NStZ-RR 2016, 272, 273; vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 32 Rn. 36[]
  2. Notwehrprovokation, vgl. BGH, Urteil vom 21.03.1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 03.06.2015 – 2 StR 473/14, NStZ 2016, 84, 85; BGH, Urteil vom 02.07.2015 – 4 StR 509/14, NStZ-RR 2015, 303, 304; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.02.2003 – 1 StR 403/02, Rn. 39, insoweit in BGHSt 48, 207 nicht abgedruckt[]
  4. BGH, Urteil vom 14.06.1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359; BGH, Urteil vom 26.10.1993 – 5 StR 493/93, 39, 374, 379[]
  5. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14.06.1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 358; BGH, Urteile vom 02.07.2015 – 4 StR 509/14, NStZ-RR 2015, 303, 304; und vom 12.02.2003 – 1 StR 403/02, Rn. 32 ff., insoweit in BGHSt 48, 207 nicht abgedruckt[]
  6. zur Einschränkung des Notwehrrechts gegenüber einem schuldlos handelnden Angreifer vgl. BGH, Beschluss vom 12.04.2016 – 2 StR 523/15, NStZ 2016, 526, 527; BGH, Urteil vom 12.02.2003 – 1 StR 403/02, Rn. 38, insoweit in BGHSt 48, 207 nicht abgedruckt[]